Informelles

Klartext, Herr Doktor!

10. Dezember 2018

Der so betitelte, bemerkenswerte Beitrag von L. Schmidt  FAS 18.Nov.18 setzt sich damit auseinander, dass Patienten zunehmend das Gefühl haben, wichtige medizinische Entscheidungen würden ohne sie getroffen werden. Zu Grunde liegt eine noch nicht veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung, die sich mit Shared Decision Making (SDM), also gemeinsame Entscheidungsfindung im Klinikalltag befasst.
Sie kommt zu dem Schluss, dass Patienten zwar auch verantwortlich sind, der Hauptfehler läge indes bei den Ärzten.
Das schmeckt mir gar nicht, wo ich doch manchmal darauf bestehe, dass Patienten Entscheidungen selbst treffen sollen, zB wenn es darum geht, wann der richtige Zeitpunkt für ein künstliches Hüftgelenk gekommen ist. Und mir nicht selten Ärger einhandele, weil Patienten die Entscheidung so schwer fällt und ich sie ihnen partout nicht abnehmen will. Aber der Beitrag ist hilfreich, ich habe daraus gelernt, wie ich Ihnen später erklären werde.
Schauen wir genauer hin:
Patienten stehen am Scheideweg einer wichtigen medizinischen Entscheidung, die sie natürlich nur treffen können, wenn sie die notwendigen Argumente für und wider kennen. Da das Wissen nicht von Wikipedia oder anderen Internetquellen kommen sollte, sind wir Ärzte gefordert, uns Zeit zu nehmen, Wissen zu vermitteln, Fragen zu beantworten und unsere Erfahrungen darzulegen.
Abgesehen davon, dass diese Art der Gesprächsführung nie Teil der ärztlichen Ausbildung ist (wir sind also Autodidakten mit mehr oder weniger Begabung), sind wir eingebunden in funktionierende Wirtschaftssysteme, in denen Zeit ein wichtiges Gut ist. Von Beginn unserer ärztlichen Ausbildung sind wir mit einem Führungsstil konfrontiert, der uns „Zeitverschwendung“ verbietet und Hierarchien zementiert. Es wird von oben nach unten entschieden. Das gilt für Chefärzte genauso wie für Verwaltungsdirektoren.
Traditionell kommt der Patient an letzter Stelle. Und nicht zu Unrecht, wie der Artikel damit implementiert, dass kaum ein Patient über eine Art medizinisches Grundwissen verfügt, oder sich mit seiner Erkrankung soweit auseinandergesetzt hat, dass ein Gespräch möglich ist. Meist ist es eher eine Art Vortrag von uns.
Patienten sollten vielleicht damit beginnen, dass sie 3 grundlegende Fragen stellen: „Was sind meine Behandlungsmöglichkeiten? Was sind die Vor- und Nachteile jeder dieser Möglichkeiten? Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Vor- und Nachteile bei mir eintreten?“, so Prof. F. Geiger, Psychologe und Leiter des Innovationsfonds-Projekts „Making SDN a Reality“am Universitätsklinikum Schleswig Holstein in Kiel.
Man sollte als Arzt aber auch respektieren, wenn Patienten trotz eines intensiven Gesprächs nicht überzeugt sind oder eine andere Meinung haben. 
Oder sich bewusst entscheiden, sich NICHT aktiv zu beteiligen, also die Entscheidung ausdrücklich mir überlassen wollen! Auch das ist eine gemeinsame Entscheidung, und das ist es, was ich gelernt habe. Das letzte Wort hat immer der Patient. 
Bestrebungen, das ärztliche Gespräch besser zu honorieren, sehe ich allerdings kritisch. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen die ärztliche Beratung gut bezahlt wurde und daraufhin die abgerechnete Beratungszeit 25 Stunden am Tag und mehr betrug.